Kurt Mahr war ein unterschätzter Schriftsteller – Teil 2 Eine Kolumne von Stefan Pannor über einen populären PERRY RHODAN-Autor

30. April 2024

Im Rahmen des PERRY RHODAN-Reports, der vierwöchentlichen Beilage zur PERRY RHODAN-Serie, erschien ein Beitrag von Stefan Pannor (in Band 3268, »Die Geheimnisse der ELNVAN«, von Michelle Stern). In ihr schrieb der Redakteur über Kurt Mahr, den PERRY RHODAN-Autor, und seine vielfältigen Science-Fiction-Romane. Diesen lesenswerten Beitrag teilen wir gern auch an dieser Stelle – in Fortsetzungen …

Er mochte »normale« Figuren

Mahr bevorzugte Figuren aus dem »Mittelbau«: Agenten, Techniker und Ingenieure, die technisches und physikalisches Grundwissen besaßen. Häufig gerieten diese Figuren unschuldig in ein Geschehen, das sie kaum überblickten. Zog man den SF-Anteil ab, waren die meisten seiner Texte Thriller, in denen sich die Figuren mit Logik und Kaltschnäuzigkeit durchsetzten statt mit Gewalt. Mahrs Helden waren keine Supermänner, sondern Alltagsfiguren, die sich in der Zukunft behaupten mussten.

»Mit Ihrem bereits eingereichten Manuskript sind wir sehr zufrieden«, schrieb ihm der Verlag nur wenige Wochen nach Erhalt von »Zeit wie Sand« und nachdem Mahr offenbar bereits weitere Vorschläge für Romane unterbreitet hatte. Nur eine Schwäche sah man, es »muss in Ihrem Manuskript mehr Aktion vorhanden sein«, denn »die wissenschaftliche Fundierung ist ausgezeichnet«, aber »Sie wissen ja, … dass wir die Hefte an ein großes Publikum verkaufen« (dieses und andere Zitate aus der mit vielen Dokumenten ausgestatteten Biografie von Inge Mahn im Buch zum GarchingCon 2003).

Allein im Jahr 1960 publizierte Mahr vierzehn Heftromane, davon sechs unter dem Pseudonym Cecil O. Mailer in der Konkurrenzpublikation UTOPIA des Pabel-Verlags. Mailer war gewissermaßen das Pseudonym eines Pseudonyms, mit dem er vor Moewig verbarg, dass er für Pabel arbeitete, so wie er mit dem Decknamen Mahr vor seiner Universität verbarg, dass er Raketenheftchen schrieb.

Die von Anfang an hohe Produktivität behielt Mahr fast sein gesamtes Leben bei. Was umso mehr verwundert, weil er diese frühen Romane während seines sicher nicht anspruchslosen Physikstudiums nebenher verfasste. 1961 veröffentlichte er dreizehn serienunabhängige Heftromane.

Dazu kam freilich ab Frühjahr die Mitarbeit an der PERRY RHODAN-Serie, zu der ihn Schelwokat eingeladen hatte, mit fünf veröffentlichten Heften in jenem Jahr. Mahr war der Jüngste im Team: Als PERRY RHODAN startete, war er gerademal anderthalb Jahre im Geschäft. Dass Schelwokat dem Frischling diese Möglichkeit eröffnete, zeigt die Wertschätzung und das Potenzial, das er in ihm sah.

1962 steigerte sich Mahrs Ausstoß erneut, zu elf serienunabhängigen Publikationen kamen siebzehn RHODAN-Hefte. Seine Tätigkeit außerhalb von PR hatte damit ihren Höhepunkt überschritten und nahm ab da kontinuierlich ab, zuletzt auf ein bis zwei neue Texte pro Jahr, und endete schließlich 1983 (nachdem acht Jahre kein Roman Mahrs außerhalb von PR erschienen war). Seine Tätigkeit für PR blieb dagegen, von einer kurzen Auszeit von 1969 bis 1971 abgesehen, konstant hoch.

Auch bei den Lesern kamen die Romane offenbar an. In einem Schreiben, das der Verlag an Mahr weiterleitete und auch auf der LKS von Terra 109 veröffentlichte, schreibt ein Erich Adam aus Krefeld-Uerdingen: »›Zeit wie Sand‹ halte ich für einen der besten Romane, die in den Terra-Bänden erschienen sind.« Und ein Friedhelm Küster aus Lagershausen wünscht sich, »dass der junge Autor noch mehr Romane schreibt«.

Was er, siehe oben, tat. Nicht zuletzt aufgrund des Geldes. Für ein TERRA-Heft bekam Mahr 500 DM Honorar, für einen TERRA-Sonderband 600 DM, für einen PERRY RHODAN-Roman sicher eine ähnliche Summe. 1962 ging Mahr also mit mehr als 1000 DM pro Monat nach Hause – für einen Studenten Mitte zwanzig zu jener Zeit eine beachtliche Summe.

Sich selbst kopiert …

Aber wie konnte Mahr seine Produktivität neben dem Studium halten? Die Antwort liegt in einem starken Maß an Selbstplagiierung. Bereits erwähnt wurde die ganze Reihe an Heften, in denen es eine Raumschiffbesatzung in die Zukunft verschlägt. Weiteres regelmäßiges Motiv war eine Herrschaft der Maschinen oder eines Robotgehirns, gegen das eine Revolte begonnen wurde. Dieses Konzept findet sich unter anderem in »Die Verschwörung der Computer« (1970), »Die Klasse der Alphas« (1962) und »Die Welt der Silikos« (1962), sowie, mit umgekehrtem Vorzeichen, in »Das Gigant-Gehirn« (1961): Darin soll eine Revolte gegen den alleslenkenden Rechner verhindert werden.

Mitunter plagiierte Mahr sich ganz offen. Die Hefte »2 x Mr. Beeches« (als Cecil O. Mailer, 1960) und »2 x Professor Manstein« (als Kurt Mahr, 1961) besitzen nicht nur ähnliche Titel, sondern fast identische Plots, in denen es Menschen in ein Paralleluniversum verschlägt, wo sie auf ihre Doppelgänger treffen. Beide Hefte erschienen im Abstand von weniger als einem Jahr, aber eben unter zwei Namen bei zwei verschiedenen Verlagen.

Mahr verwendete sichtlich wenig Zeit auf den Entwurf möglicher zukünftiger Welten. Seine Zukünfte, selbst wenn sie Zehntausende Jahre von der Gegenwart entfernt sind, waren stets erkennbar die Gegenwart der Fünfzigerjahre. Noch zehntausend Jahre in der Zukunft hieß New York New York, fuhr man mit Autos und rauchte Zigaretten. In »2 x Mr. Beeches«, angesiedelt im Jahr 3360, knallt ein Polizeipräsident den Telefonhörer auf die Gabel, und die Hauptfigur, ein flüchtiger Agent, erfährt, dass er zur Fahndung ausgeschrieben ist: »Radio und Fernsehen sind voll von Ihnen.«

Als die Raumfahrer in »Der Nebel frisst sie alle« nach 2,4 Milliarden Jahren dilatationsverlängerter Reise zur Erde heimkehren, werden sie selbstverständlich auf Englisch begrüßt. Wo Mahr im Physikalischen konsequent war, fehlte ihm im Weltenbau sichtlich der Mut, mögliche Zukünfte zu entwerfen, insbesondere in seinen frühen Heften, die fast alle auf der Erde spielen oder eine Rückkehr zu ihr zum Thema haben.